Jugend ohne Gott
Ödön von Horváth
Meininger Staatstheater | Kammerspiele
2016

Mit Hagen Bähr | Meret Engelhardt | Vivian Frey | Kathrin Horodynski | Anna Krestel | Peter Liebaug | Carla Witte
Bühne & Kostüm Anneliese Neudecker
Licht Michael Jakubowski
Dramaturgie Anna Setecki
Licht Simon Meusburger
Fassung Martina Gredler
Fotos Sebastian Stolz

Pressestimmen:

Es kommen kalte Zeiten
Wenn das Licht angeht auf der Bühne, ist der Theaterabend manchmal schon halb verloren. Oder halb gewonnen. Je nachdem, was die Augen der Zuschauer erwartet. Als das Licht am Donnerstag in den Meininger Kammerspielen anging, war der Abend bereits halb gewonnen. Was an dem grau-schwarzen Dings lag, das Bühnenbildnerin Anneliese Neudecker da mittig und raumbreit hingestellt hatte. Vier versetzt auf einem Podium angeordnete Rohre, die unweigerlich an ins Riesenhafte vergrößerte Gewehrläufe erinnerten. Wie treffend diese Assoziation ist, zeigte sich in den folgenden knapp zwei Stunden mit Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“. […] In der schnellen Folge von rund vierzig knapp gefassten Szenen lässt Regisseurin Martina Gredler ihre sieben Schauspieler zwischen den Gewehrläufen verschwinden und wieder auftauchen, präzis im Takt, ohne Pause, mit vielen Rollenwechseln. […] Was bereits halb gewonnen war zu Beginn des Abends, es war an seinem Ende ganz gewonnen – von Martina Gredler und ihrem Ensemble.
Freies Wort (Susann Winkel)

Im Zeitalter der Fische
„Es kommen kalte Zeiten, das Zeitalter der Fische. Da wird die Seele des Menschen unbeweglich wie das Antlitz eines Fisches.“ – Ein Satz aus Ödön von Horváths Roman „Jugend ohne Gott“, der einen erschaudern lässt, angesichts des momentan forschen Wachstums von Angst, Gleichgültigkeit und Hass. […] Horváths Detailblick auf die Verrohung einer Gesellschaft kann man im bestimmbaren historischen Kontext auf die Bühne bringen. Oder man stellt sie in einen abstrakten Raum. Die Regisseurin und ihre Ausstatterin Anneliese Neudecker entscheiden sich für den zweiten Weg. […] Die Schauspieler und Schauspielerinnen, die in alle möglichen Rollen schlüpfen – Schüler, Eltern, Pfarrer, Lehrer, Richter, etc. –, bewegen sich pausenlos über, neben, auf und zwischen vier längsseits liegenden abgestuften Röhren. Kriechend, sitzend, liegend, ruhend, kletternd, stehend. […] Respekt gilt den Schauspielern Vivian Frey, Carla Witte, Hagen Bähr, Peter Liebaug, Anna Krestel, Kathrin Horodynski und Meret Engelhardt. […] Der stete Wechsel der Szenen und der atemlose Rhythmus erfordern von den Akteuren enorme Wandlungsfähigkeit und Wortpräsenz.
Main-Post (Siggi Seuss)

Wir sind schon wieder in kalten Zeiten
„Das ist eine hochbrisante Geschichte“, sagt die Regisseurin. Trotzdem möchte sie ihre Inszenierung weder in die Nazizeit noch tagespolitisch verorten. „Ich habe das Stück transformiert und in eine künstlerische Sprache übersetzt.“ Dahinter möchte die Wienerin, die den Zustrom der Flüchtlinge im Sommer 2015 auf dem Wiener Westbahnhof erlebte, jedoch nicht ihrer Wut verstecken. „Wir sind schon wieder in kalten Zeiten“, konstatiert sie. „Aber die meisten verschließen ihre Augen vor dem, was im Mittelmeer – inzwischen ein Massengrab – passiert.“ In Horváths „Jugend ohne Gott“ äußern Schüler „alle Neger sind hinterlistig, feig und faul“. Das gleiche würden heute viele Leute über die Flüchtlinge sagen, vergleicht die Regisseurin. In Deutschland werde es den Neonazis leicht gemacht, sagt die Österreicherin und führt als Beispiel das „Führerschnitzel für 8,8 Euro“ an, das kürzlich zum „Führergeburtstag“ in einem Gasthof der Rechten im Kloster Veßra verkauft worden sei. So etwas könne sie sich in Österreich derzeit nicht vorstellen, aber die jüngsten Wahlen seien knapp ausgegangen und EU-weit – ob in Ungarn, Polen oder Frankreich – gebe es einen deutlichen politischen Rechtsruck. „Heute brennen Asylheime, später werden es vielleicht Menschen sein“, blickt die Theaterfrau voraus. Um so wichtiger sei heute die Rolle des Theaters, das diesen Tendenzen entgegenwirke. Denn leider sei es inzwischen so, dass sich auch Akademiker und gebildete Leute Parteien, die einfache Lösungen für die politischen Konflikte anbieten, anschließen. „Die Wirkung des Theaters darf man nicht unterschätzen“, so Martina Gredler. Gerade die deutschen Theater hätten viel Arbeit geleistet, die eigentlich Sache der Politik sei.
Freies Wort (Carola Scherzer)