Moskau – Petuschki
Wenedikt Jerofejew
Meininger Staatstheater | Kammerspiele
2017

Mit Reinhard Bock | Meret Engelhardt | Peter Liebaug | Christine Zart
Bühne & Kostüm Anna-Luisa Vieregge 
Musik Antonia Dering (Kontrabass) | Kevin Sauer (Akkordeon) | Jana Schulz (Akkordeon)
Licht Michael Jakubowski
Dramaturgie Jana Schulz
Fassung Martina Gredler | Jana Schulz
Fotos foto-ed (Erhard Driesel)

Pressestimmen:

Kotzen und grübeln
Die delirierende Imagination des Ich-Erzählers ist schwer an reale Menschen zu binden, die vielen bildungsbezogenen Assoziationen muss man lesen – weshalb Martina Gredler und Jana Schulz, die Regisseurin und die Dramaturgin, in ihrer handwerklich nicht ungeschickten Fassung manches eliminieren und den Text, unter Verwendung des Original-Titels, auf 16 Figuren und vier Darsteller verteilen. Deren erster beginnt, dass dem Beobachter Übles im Anmarsch erschien. Russischer Assi in Bestform, direkt vom Bahnhof aufgelesen, das Deutsch beinahe so verständlich, als spräche er seine Muttersprache. Diesem besoffenen Schwein, und genau das spielt Reinhard Bock, würde keine Sau anderthalb Stunden mit einigem Interesse zuhören wollen. […] Doch Bock spielt gleichsam den täglichen Entwicklungsbogen des professionellen Trinkers: Er wird zunehmend, nun nicht eben nüchtern, aber beherrschter, er säuft sich den Kopf langsam klar. Wenigstens so weit, dass er uns seine Geschichte erzählen kann. Und findet so, in zum Einstieg nicht vermuteter Weise, zu seiner Figur, findet einen Ton, mit dem er saufen und denken kann, kotzen und grübeln. […] Eine sehr eindrückliche Arbeit dieses Schauspielers. Wie auch von Meret Engelhardt.
Nachtkritik (Henryk Goldberg)

Fluchten ins Delirium
Meret Engelhardt, Christine Zart und Peter Liebaug umkreisen den Antihelden mit viel Lust und Hingabe. Dieser Jerofejew, der Anfang 30 war, als er das Poem schrieb, ist besetzt mit Reinhard Bock, der sich jenseits der 60 befindet. […] Er spielt ihn mit fröhlicher Zärtlichkeit zugleich als staunendes Kind und als so ab- wie aufgeklärten Weisen. Aus der hageren Gestalt rollen treuherzige Augen groß hervor, ein selig verschmitztes Lächeln macht sich breit, die abgedunkelte und angeraute Stimme findet zum verbindlichen Erzählton. Den drei Kollegen gelingen kräftig gezeichnete Milieustudien aus Moskau und dem Vorortzug. Meret Engelhardt hat zum Beispiel einen starken Auftritt als schnurrbärtige Alte, der einst der Liebste die Vorderzähne ausschlug.
Thüringer Allgemeine (Michael Helbing)

Auf der Suche nach Sehnsuchtsorten
So entstehen in der Inszenierung von Martina Gredler zutiefst depressionsfördernde Einsichten in den sowjetischen Alltag jener Zeit. Reinhard Bock (als Wenja), Christine Zart, Meret Engelhardt und Peter Liebaug (in den verschiedensten Rollen) spielen sich die Seele aus dem Leib und lassen die Zuschauer – trotz des minimalistischen Bühnenbilds von Anna-Luisa Vieregge – Enge und Kälte leibhaftig spüren. Die sehnsuchtsvollen russischen Klänge, die Antonia Dering und Kevin Sauer mit Akkordeon und Kontrabass entgegenhalten, machen die Widersprüche noch schmerzhafter. Wenja wird weder Petuschki noch irgendeinen Augenblick gelebter Glückseligkeit erreichen – er wird an der Dumpfheit seiner Mitmenschen, an sich selbst und seinem Jammer endgültig zerbrechen.
Main-Post